Ein offenes Wort

Trotz unseres Glücks ein offenes Wort an die Politiker und den Senat

Danke, Herr Oberbürgermeister Müller, für Ihre richtigen und hoffnungsvollen Worte und Vorsätze, „dass für die Berliner Mieter mehr getan werden muss.“ Glücklicherweise wurde UNS geholfen, weil wir uns selbst geholfen haben, indem wir uns  die Miete selbst erhöhten, hart kämpften und uns an sprichwörtlich entscheidende Personen direkt gewandt haben und dabei noch das Glück hatten, dass diese erreichbar waren und willens, uns zu helfen.

Aber trotz dieses Glücks ist es auch für uns als vermeintliche „Gewinner“ in einer  absurden Spekulationsdynamik ein zwiespältiges Gefühl zu wissen, dass der Senat und die Politik abertausenden Berliner Mietern keine wirksamen Instrumente bereit stellen kann oder will, damit sie besser gegen Vertreibung geschützt sind. Irgendwie fühlt man sich wie der einzige Überlebende eines großen Flugzeugabsturzes. Uns ist bewusst: Wir hätten um Haaresbreite ebenso auf der Verliererseite landen können. Denn auch in diesem Jahr werden in Berlin Tausende Mietshäuser weiter verscherbelt, manche zum mehrfach wiederholten Male innerhalb weniger Jahre.

Heute steht gebündelt und ungehemmt das virtuell hochgeschraubte internationale Kapitalmarktgeld dem realen Arbeitseinkommen einzelner Berliner Wohnungsmieter gegenüber. Eine unerträglich ungerechte Situation: Ganz normal arbeitende Menschen sind schutzlos dem brutalen Wirtschaftsmechanismus ausgesetzt. Die Berliner Wohnungsmieter können mit diesem plötzlich verschobenen Kräfteverhältnis natürlich nicht mithalten. Viele Bewohner werden nach oft nur fingierten Eigenbedarfsanmeldungen der neuen Besitzer oder über Schikanen und drastische Mieterhöhungen von Hausverwaltungen im Auftrag profitorientierter Anleger sprichwörtlich aus ihrem Zuhause vertrieben (ein besonders asoziales Albert-Immo-Beispiel ist die Räumung von einem Obdachlosenheim, siehe Link).

An unserem eigenen Verkaufs-Fall sehen wir: Das trifft nicht nur arme Leute, sondern in Berlin gerade die stille breite untere Mittelklasse,  die keinerlei plakative Eigenschaften für reißerische Presseunterstützung hat und die keine zu berücksichtigenden „Notmerkmale“ (wie Sozialhilfe oder Harz IV) als behördlichen Schutzgrund vorweisen kann, die aber auch nicht das Geld für die Miete oder den Kauf überteuerter Wohnungen hat. Wird den Mietern im mittleren und unteren Einkommenssegment nicht flächendeckend ganz entschlossen und schnell geholfen, finden diese keinen erschwinglichen Wohnraum mehr in ihrer Stadt – die akuten und schon mittelfristig eintretenden sozialen und politischen Folgen mag man sich kaum vorstellen.

Wie in unserem Fall ein einziges glückliches Haus in einem der größten Berliner Stadtbezirke mit über 300.000 Einwohnern durch Milieuschutz zu retten, das ist zweifelsohne löblich – aber es ist auch peinlich, weil es eben nur EIN Haus ist.  Denn es sollten Tausende Mietshäuser in Berlin sein, deren Bewohner mit wirksamen gesetzlichen Vorschriften und Instrumenten vor Vertreibung geschützt werden!

Die für den Schutz des Lebensraums der Berliner Bürger Verantwortlichen gewählten Parteien und ihre Politiker müssen besonders im erheblichen Altbaubestand der Berliner Kieze örtlich viel entschlossener, schneller und wirksamer für ihre Bürger eintreten. An unserem eigenen Beispiel „unsanierter Berliner Altbau im Milieuschutzgebiet Schöneberg“ haben wir gesehen: Die hocheffizienten rücksichtslosen Immobilienheuschrecken sind überhaupt nicht durch die weichen Verordnungen des Milieuschutzes zu beeindrucken. Hier bedarf es viel härterer und sofort wirksamer Maßnahmen zum Schutz der Bürger. Denn diese Investoren sind meist nicht persönlich mit Berlin verbunden, in der Regel sind sie nicht an der Übernahme von Verantwortung für die Hausbewohner in einem Berliner Altbaukiez bereit. Ihr erklärtes Ziel ist maximale Rendite, nicht sozialverträgliche Nachhaltigkeit.

Kürzlich verkündete Instrumente, wie der „beschlossene Neubau sozialer Wohnungen“, berühren deshalb noch nicht einmal das Terrain der weitläufigen für Berlin so typischen Altbaukieze. Diese Maßnahmen kommen tragischerweise auch viel zu spät für die bald Vertriebenen und für die schon jetzt in der Warteschlange Stehenden.

Viel akuter als der geplante Neubau sozial vertretbarer Wohnungen (angesichts der Stadtgröße sind das relativ wenige Wohnungen) ist der kulturelle und soziale Bestandsschutz der Berliner Altbau- und Kiezkultur in den Bezirken der ganzen Stadt, der Hunderttausende eingesessene Bewohner betrifft. Hier geht es um nicht weniger als um Berlin als Heimat für die so typische lebendige Vielfalt der Bewohner. Halbherzige Maßnahmen der Stadtpolitik sind kein Rezept gegen die fremdbestimmte Zerstörungsmechanik des in Berlin so schamlos und rücksichtslos wütenden Kapitalmarktsystems. Die verantwortlichen Parteien und Politiker gleich welcher Couleur müssen mit oberster Priorität dem täglichen Wohnungsmieterdrama in Berlin Einhalt gebieten, dem wir ansonsten weiterhin nur fassungslos oder gleichgültig zuschauen können.

Wir können deshalb alle an Spekulanten verkauften Berliner Mieter nur ermutigen, unbedingt zusammen zu halten und als Einheit aufzutreten und solange mit allen Mitteln zu kämpfen und darüber auf allen Medienkanälen und Wegen zu berichten, wie es nur geht! Ihr müsst die Öffentlichkeit und die Politiker wachrütteln und so lange nerven, bis Ihr nicht mehr könnt! Nur dann und mit großem Glück habt Ihr eine kleine Chance. Denn Ihr seid angesichts der bis heute fehlenden Gegenmaßnahmen der Politik nach wie vor auf Euch allein gestellt.

Wir helfen Euch mit Informationen über unsere gemachten Erfahrungen auf Anfrage.

 

Der Vorstand im Namen der Mitglieder der Hausgemeinschaft GG8-NK1 e.V.
Berlin, im März 2018 (aktualisiert im Juli 2018)

 

Download-Link (PDF)
Artikel über unser Haus im Berliner Mieterecho 393 vom Februar 2018, S. 12-13

Download-Link (PDF)
Artikel über unseren Erfolg im Mieterecho Nr. 395 (Mai 2018)

 

Eine Aktion des Tagesspiegels
(interaktive Plattform)

Wem gehört Berlin? Gemeinsam mit allen Berlinerinnen und Berlinern finden wir heraus, wem die Häuser der Stadt gehören. Und wie das mit den Mietpreisen zusammenhängt.