Wir haben es geschafft

Hurra! Wir sind das erste Mietshaus im Berliner Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg, für das der Milieuschutz wirksam gegriffen hat.

Das Vorkaufsrecht für unser Mietshaus im Milieuschutzgebiet Berlin Schöneberg-Nord konnte durch das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg  erfolgreich zu Gunsten der „Stadt und Land Wohnungsbaugesellschaft“ wahrgenommen werden. Dies gelang gerade noch rechtzeitig vor dem Fristablauf kurz vor dem 20. Januar 2018. Unterstützt und vertreten wurde dies durch den stellvertretenden Bezirksbürgermeister und Leiter der Abteilung Stadtentwicklung und Bauen Herrn Jörn Oltmann (Bündnis 90/Die Grünen) und sein engagiertes Team aus mehreren Abteilungen.

Wir danken von ganzem Herzen allen mutigen Unterstützern und tatkräftigen Helfern. Wir danken darunter ganz besonders zwei altgedienten namhaften Persönlichkeiten der Politik, die sich spontan mit ihren Teams und persönlich für uns eingesetzt haben: Gregor Gysi und Hans-Christian Ströbele. Wir danken auch uns selbst als Mieter im Eckhaus der Großgörschenstraße 8 / Neue Kulmer Straße 1, die wir sofort nach der Nachricht zum Verkauf unseres Mietshauses einen Verein gegründet haben und als Mitglieder in der „Hausgemeinschaft GG8-NK1 e.V.“ bis zuletzt als Einheit zusammen gehalten und unermüdlich bis zur letzten Stunde gekämpft haben. Wir danken nicht zuletzt und besonders auch der Stadt und Land Wohnungsbaugesellschaft, die uns gekauft hat.

Unser Schicksal als langjährige Berliner Wohnungsmieter von 14 Parteien mit 13 Kindern unterliegt nun glücklicherweise nicht den Anlageinteressen der Erbengemeinschaft des globalen Tetra Pak-Konzerns. Denn diese hat zur Verwaltung ihres milliardenschweren Stiftungsvermögens unter anderem eine Investment-Gesellschaft in Paris mit dem Namen „Grizzly Investments“ beauftragt.

Grizzly Investments setzt diesen Auftrag im Bereich Immobilienanlagen über ein Konsortium von Luxemburger Immobilienfirmen mit dem Namen „Albert Immo“ konsequent um. Ziel ist offenbar (so der Eindruck, wenn man Albert Immo Berlin in eine Internet-Suchmaschine eingibt), so viele und so schnell wie möglich Mietshäuser und andere Immobilien in Berlin zu kaufen, sowohl innerhalb wie außerhalb von Milieuschutzgebieten. Dabei werden diese Immobilien oft deutlich über dem Marktwert gekauft. Ob sich nach dem Wiederverkauf  oder der Umgestaltung der Objekte (oder auch nur der Mietverträge) die Bewohner ihre Miete weiterhin leisten können, spielt in diesem Anlage- und Spekulationsgeschäft offenbar keine Rolle. Vertraglicher Handlanger und Erfüllungsgehilfe für die Findung und Verkaufsanbahnung der Objekte in Berlin vor Ort und der Vertreibung Ihrer Bewohner  ist in erster Linie die Immobilienfirma Engel & Völkers.

Das geschäftstüchtige Kaufe-was-in-Berlin-zu-haben-ist-Netzwerk von Albert Immo besteht aus gleichnamigen Gesellschaften, die durchnummeriert sind, sie heißen entsprechend „Albert Immo 1 S.a.r.L.“, „Albert Immo 2 S.a.r.L.“ usw. Wir wurden zufälligerweise von „Albert Immo 6 S.a.r.L.“ gekauft, und zwar Ende November 2017. Der Preis lag fast eine Million Euro über dem vom Bezirksamt ermittelten Verkehrswert unseres unsanierten Mietshauses.

Angesichts dieses mächtigen etablierten Systems des Grizzly-Albert-Immo-Engel-Völkers-Netzwerks und der in der Presse berichteten gentrifizierenden Verfahrensweisen von Albert Immo im Umgang mit Berliner Mietern (ein besonders asoziales Beispiel ist die Räumung von einem Obdachlosenheim, siehe Link), sahen wir uns zunächst in auswegloser Lage: Denn nach einem im Milieuschutzgebiet beim Bezirksamt eingereichten Kaufvertrag hat das Bezirksamt nur ganze 2 Monate Zeit, einen alternativen potenten Käufer zu finden, wenn die Mieterinteressen als gefährdet erscheinen. Das Bezirksamt kann niemals selbst kaufen, sondern dieses Recht nur für berechtigte Dritte vorbehalten, welche die Interessen der Bewohner besser schützen und welche die Höhe des erzielten Kaufpreises wahrnehmen können (sofern dieser nicht über 25% des ermittelten Verkehrswerts liegt).

Wir hatten natürlich als Mieter nicht die Möglichkeit, mehrere Millionen zu zahlen und fanden auch niemanden, der uns in wenigen Wochen diese Summe ohne persönliche Haftungsgarantien bereit stellen würde. Unser mit realistischen Zahlen hinterlegter innovativer Vorschlag, mit einer niedrig bezinsten Senatsbürgschaft bei freiwillig erhöhter Miete als GmbH das Haus selbst kaufen zu können, fand leider kein offenes Ohr. Dieses Konzept der Senatsbürgschaft für Mietergemeinschaften in Milieuschutzgebieten wäre z.B. ein außerordentlich wirksames Instrument gegen Gentrifizierung! (siehe dazu unser Beitrag im Menü „Ein offenes Wort“). Die üblichen Banken schieden mit ihren Haftungsansprüchen und Zinssätzen natürlich aus. Die Zeit raste dahin, dazwischen lag auch noch Weihnachten. Doch durch unser Angebot, uns selbst die Mieten zu erhöhen, um den Mindestschlüssel „1:30“ zu erfüllen, damit uns eine Wohnungsbaugesellschaft überhaupt kaufen kann und will, haben wir schließlich eine glimpfliche Lösung möglich gemacht („1:30“ bedeutet, 30 Jahresmieten müssen den Kaufwert der Immobilie abdecken).

Wir lernten so einiges, zum Beispiel von einem Engel & Völkers-Makler (der mit unserem Verkauf allerdings nichts zu tun hatte und der nicht wusste, dass wir von seinen unmittelbaren Kollegen bearbeitet wurden). Wir lernten von ihm, dass wir „wie so viele andere Berliner, viel zu lange viel zu günstig gewohnt“ haben. Es sei doch „nun vollkommen in Ordnung, wenn die regelmäßig gestatteten Mieterhöhungen eines Investors angesichts der hohen Kaufpreise erhoben werden.“ Und „wegen der neuen Zeiten sei dies ja ganz moderat, man müsse doch dafür als Mieter Verständnis haben, das sei nichts persönliches“. Dazu kämen „in Einzelfällen natürlich noch außerordentliche Mieterhöhungen aufgrund von Hausverbesserungen“ (damit gemeint ist z.B. ein Läufer oder neue Lampen im Treppenhaus) „oder auch mal eine Maßnahmen wie Wärmedämmplatten oder eine Zentralheizung“ (also in unserem Falle unnötige Maßnahmen). Diese Argumentation spiegelt das Klischee einer verbreiteten Maklermoral, mit der jede Skrupellosigkeit vorab gerechtfertigt wird. Am meisten überrascht bei diesem Begründungsaufbau das offenbar vollkommen fehlende soziale Bewusstsein: Der langjährige Hausbewohner soll bitte Verständnis dafür haben, dass die Spekulationsblase den Hauspreis in die Höhe treibt und der überhöhte Kaufbetrag für den Neubesitzer leider nur durch Mieterhöhung wieder reinzuholen ist. „Sonst ist es ja nicht wirtschaftlich“. Das klingt wirklich einleuchtend.

Uns war schnell klar: Bereits nach wenigen Jahren ist eine Mietverdopplung nicht ausgeschlossen, der Dachausbau und die Umsiedlung der Bewohner im 4. OG höchstwahrscheinlich. Unserem bisherigen Hausbesitzer (der uns immer fair behandelt hatte), wurde von den unser Objekt vermittelnden Engel & Völkers-Kollegen versichert, „der Investor will das Geld nur parken, mit den Mietern wird moderat umgegangen.“ Wie lange und was danach kommen würde, blieb allerdings offen. Man muss hierzu wissen: Der für ein Gebiet ausgesprochene „Milieuschutz“ ist für die Bewohner kaum wirksam gegen Mieterhöhungen, die vom neuen Besitzer mit „Renovierungsmaßnahmen im Haus“ gerechtfertigt werden. Milieuschutz muss zudem alle drei Jahre neu bestätigt werden.

Nun ist es uns gelungen, mit der Stadt und Land Wohnungsbaugesellschaft einen in unseren Augen unvergleichlich besseren Käufer zu finden. Dadurch haben wir eine planbare Wohnsicherheit für uns und unsere Kinder auch in den nächsten zwei Jahrzehnten erwirkt.

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Doch sind wir dennoch etwas zwiegespalten, weil viele Berliner Bürger nicht so viel Glück hatten und jemals haben werden wie wir. Warum wir das denken, das erfahren Sie unter dem Menü „Ein offenes Wort“.

Download-Link (PDF)
Artikel über unseren Erfolg im Mieterecho Nr. 395 (Mai 2018)